Das Porträt von Gabriela Moyseowicz

 

von Radosław Rzepkowski  (Montreal)

 

aus dem Polnischen übersetzt von Brigitte Heider

 

Einleitung

 

Die polnische Komponistin Gabriela Moyseowicz ( 1944 in Lwow geboren)  - deren   Name in zahlreichen europäischen und  amerikanischen Enzyklopädien zu finden  ist -   gehört zu  den wohl bekanntesten  Persönlichkeiten der Musikwelt. Frau  G. Moyseowicz lebt seit 30 Jahren in Berlin, wo  sie neben ihrer kompositorischen Tätigkeit auch Musikunterricht  in Berlin-Charlottenburg erteilt.  Seit 1975 ist Frau  Moyseowicz  Organistin in der katholischen St. Bernhard Kirche  in Berlin-Tegel,  wo sie  ebenfalls  den Kirchenchor leitet. Ihr  Schaffenswerk besteht aus  einigen Dutzend Kompositionen verschiedener Gattungen: symphonische Werke, Kammermusik, sakrale  Werke, Klavierkompositionen und Lieder.  Die Werke von Fr. Moyseowicz werden auf der ganzen Welt aufgeführt  und aufgenommen. Eine CD mit ihren Tonschöpfungen  wurde vor  kurzem von der Berliner Firma „Westend Classics“ herausgegeben.

 

Ihre ersten Erfolge als Komponistin erlebte Gabriela Moyseowicz  im Alter von 13 Jahren mit der Uraufführung des Konzertes D-Dur für 2 Klaviere. Als Anregung  für die  harmonische Konzeption diente in diesem Fall das „Krönungskonzert KV 537“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Doch bereits eines ihrer weiteren Werke, die „Sonate Nr. 1 für Klavier“ (1960), kündigte  ihren eigenen Stil an, der im Laufe der Jahre keinen wesentlichen Veränderungen unterlag. Dieser Stil, herausgearbeitet im Ergebnis längeren Suchens,  ist mit dem Musikidiom des Zeitgenössischen verbunden. Er zeichnet sich durch Ehrlichkeit in der Aussage und zugleich durch eine hohe Emotionalität und reiche Klangphantasie aus.

 

Ausbildung

 

Die  Entfaltung der künstlerischen Persönlichkeit der Komponistin ist im besonderen Maße auf den  Einfluss von Danuta Myczkowska-Grydil – der Professorin der Klavierklasse am Musiklyzeum in Kraków -  zurückzuführen.  Dank ihrem pädagogischen Talent wurde die pianistische Begabung  der Komponistin gefördert und entwickelt, die bereits seit 1961 gelegentlich Konzerte mit  eigenen Kompositionen und den Werken von Bach, Mozart, Chopin, Brahms, Paderewski, Szymanowski u.a. gab. Professor D. Myczkowska-Grydil kannte die gesamte  Palette der Klavierwerke der Komponistin und unterstützte sie stets in ihren schöpferischen Konzeptionen. Diese Konzeptionen stießen  nicht selten auf  mangelndes Verständnis seitens extrem avantgardistischer Komponisten, die sich nicht nur für die Dodekaphonie sondern auch andere, sog. neuere Komposionstechniken,  begeisterten. Von ihnen stammt der Ausspruch : „Wer sein Klavier nicht mit  Füßen tritt,  ist  nicht modern.“

 

Die Bekanntschaft mit der modernen Musik machte Gabriela Moyseowicz  während ihrer Ausbildung am Musiklyzeum in Kraków. Darauf folgte das Studium an der Staatlichen Musikhochschule in Kraków im Fachbereich Komposition, Theorie und Dirigieren   und später in Katowice (1963-67). Nach Abschluss des Studiums  trat sie dem  „Jungendzirkel“  beim Verband Polnischer Komponisten bei. Als Stipendiatin des Ministeriums für Kunst und Kultur in Warschau wurde sie mit  zahlreichen Aufträgen betraut. Auf diese Weise entstand eine ganze Reihe  ihrer Werke, von denen sich einige im dortigen Archiv befinden. 

Große Wirkung übten  auf die junge Musikerin Kompositionen der Wende des 19. und 20. Jh. von Debussy, Ravel, Prokofjev und Rachmaninow  aus.  Diese Werke wurden  jedoch  nicht zum   Wegweiser für ihr eigenes Schaffen.

 

Ästhetische  Grundsätze

 

Dazu äußert sich die Komponistin wie folgt: „Jeder Schöpfer muss  seine eigene  künstlerische Intuition besitzen, auf deren Grundlage dann  eine entsprechende Selektion und adäquate Anwendung  des Ausdrucksmittels erfolgt.“ Diese Worte geben die Genese ihrer musikalischen Philosophie wieder,  die sich  unter dem Einfluss von Henrik Bergson („L´Evolution créatrice“ Paris 1907) entwickelte.  Nach Überzeugung dieses Philosophen ist die Schwäche  und  Unbeholfenheit des menschlichen Intellekt´s unbezweifelbar. Aus diesem Grund sollte der Intellekt bei    schöpferischer Tätigkeit durch die Kraft der allumfassenden Intuition ersetzt werden.  Im Schaffensprozess von G. Moyseowicz nimmt eben die Intuition, eine  übergeordnete Stellung ein.  Rationalistisches und auf Spekulationen ausgerichtetes Denken sind ihr völlig fremd. Das künstlerische Credo der Komponistin wird in  einer weiteren  ihrer Aussagen offenbart: „Man sagt, die Welt werde durch Umweltverschmutzung und viele andere  Faktoren zugrunde gehen. Man sagt,  sollte die Welt untergehen, so werde es wegen des Verlustes an menschlicher Intuition geschehen. Die Intuition ist im Grunde genommen der Antrieb für  Kunst und Gedankengut, für die Moral, für all das, was im Leben und für das Leben wichtig ist.“

Das Schaffen der Komponistin  ist diesem Grundsatz untergeordnet, es stellt zugleich ihre persönliche Erfahrung dar und unterscheidet sich offensichtlich von  rein mathematisch  gebildeten und  auf der Suche   nach  Konstruktionen entstandenen Musikschöpfungen. „Bei mir gibt es keine Zwölftonserien, meine Musik klingt nicht dissonantisch und  schräg“ – sagt die Komponistin.  Ihre kritische Haltung der Dodekaphonie und anderen gewagten Ansichten über die moderne Musik gegenüber  wird in ihrer Diplomarbeit aus dem Jahre 1967 mit dem Titel „ Exemplifikation der eigenen Ästhetik am Beispiel  des II. Klavierkonzertes“ offengelegt.  Den in ihrer  Arbeit  dargestellten Prinzipien  ist sie in   ihren Werken  bis heute treu geblieben. Aus den Aussagen und  Folgerungen dieser Arbeit ist zu schließen, dass die Zwölftontechnik und Punktualismus für sie ein „Abschied“ vom in den vorangegangenen  Epochen dominierenden tonalen Denken war.  Für die  Komponistin ist allerdings ein derartiger „Abschied“ nicht erforderlich. Diese Techniken sind für sie nicht nur deshalb uninteressant, weil sie nicht mehr die  Systeme der  Avantgarde  sind, sondern vielmehr, weil sie eine Barriere für eine  natürliche und spontane Aussage bilden. Für Gabriela Moyseowicz sind  diese Techniken  eine vorübergehende Etappe im Befreiungsprozess von der Tonalität. Sie gibt allerdinsgs  zu, dass  sie eine Basis für  die  moderne Betrachtungsweise  des Tonmaterials  waren  und – zusammen mit  anderen parallelen Richtungen – ein Existenzdasein in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts besaßen. Ihr  Wiederaufgreifen würde gegenwärtig  mit   einer besonders hohen Gefahr  der Entartung  und der Rückkehr in die Vergangenheit verbunden sein. Die mechanische Übernahme  früherer Techniken führt darüber hinaus,  wie  bekannt, zum Epigonismus und engt  individuelle Prinzipien ein .  Die Versuche, das Dur-Moll-System zu durchbrechen – schreibt die Autorin -  sind im Schaffen von  Richard Wagner und Alexander Skriabin zu erkennen . Noch früher sind  sie  in der Phantasie c-moll von W.A.Mozart und den Etüden Op. 10 von F. Chopin zu finden.  Ein weiteres Beispiel für die Suche der Komponisten  des 20. Jahrhunderts nach neuen Systemen  waren die Bitonalität und Polytonalität, Richtungen, die  noch deutlich mit dem tonalen  Denken verbunden waren.  All diese Systeme sind  zweifelsohne aus dem tonalen System hervorgegangen. Die Komponisten – sagt G. Moyseowicz – versuchten immer dann, wenn  sich eine Gelegenheit dazu ergab,  in eine andere Materie „hinüberzugleiten.“

Im Polen der 60er Jahre, als die Komponistin „auf die Bühne“ trat,  waren  „novatorische“ Techniken wie Aleatorismus, offene Formen oder elektronische Musik fast ein Muss-Kriterium für die Komponisten.  Zwangsweise war damit die Schaffung einer neuen  Notation verbunden, mittels derer alle Vorzüge der Unbestimmtheit in der Musik  zum Ausdruck gebracht werden konnten. Das Komponieren nach den Vorgaben  der damaligen Mode sicherte  Anerkennung und Prestige, oftmals  entgegen den eigenen inneren Überzeugungen.  Moyseowicz ist eine der wenigen jungen Schöpfer, die diesem Druck widerstanden und ihren Ansichten und ästhetischen Prinzipien treu geblieben ist.  Sie widersprach den Behauptungen, wonach nur  durch Zerstörung  der bisherigen Begriffe und Kanons  ein Fortschritt in der Musik erreicht werden könne. In dieser Überzeugung bestärkten sie die Eigenschaften ihrer eigenen Persönlichkeit: Trotz und Ausdauer.  Sie war stets in Opposition  gegen die radikalen  avantgardistischen Tendenzen   der polnischen Musikszene.  Sie beschloss für sich,  Musik in der traditionellen, allgemein verständlichen Notation zu schreiben und eine genaue Bezeichnung  der Dynamik, der Expression und der Artikulation - den Trägern von Emotionen – anzugeben. Somit ergab sie sich nicht dem  „Terror“  verschiedener extrem  avantgardistischer Milieus. Durch deren Druck nämlich waren in diesen Jahren  zahlreiche  Schöpfer der älteren Generationen zum Schweigen gezwungen worden. Und viele junge Komponisten, die auf der Suche nach eigenen alternativen Wegen waren, blieben abseits. Diese ungünstige Situation  veranlasste die Komponistin, das Land zu verlassen.  Im Jahre 1974 siedelte sie nach Westberlin um, wo sie eine liberalere Atmosphäre für ihr Schaffen hat.

 

Quellen der Inspiration

 

Quellen der „Inspiration“ sind für sie verschiedene aus dem Leben  gegriffene  Ereignisse, die den Stoff für ihre Suche nach  strukturellen und ästhetischen Lösungen  liefern. Dabei kann es sich um mehr oder weniger erfreuliche, sogar unangenehme  Ereignisse handeln. Inspirierend kann die Natur selbst sein, im Sinne der These, dass Töne akustische Effekte sind, die nicht selten Naturereignisse imitieren. Im Schöpfungsprozess unterliegen sie allerdings vielfältigen Transformationen, was schließlich zum Kreieren eines Musikwerkes führt. Bekanntlich ist das ewige Schöpfen  von Ideen aus dem Leben und der Natur  der Faktor, der  Musikwerken  zeitlose Werte und  ewige „Jugend“ verleiht. Man könnte  meinen, dass Moyseowicz auf diesem Gebiet   den Trend der naturalistischen Musik repräsentiert.  Doch  die Quelle der Inspiration   wirkt sich  ausschließlich auf das Abstecken des allgemeinen Rahmens der Komposition aus.  Erst danach beginnt  die mühsame Arbeit,  die mit  Versuchen und Änderungen einhergeht. Als  Beispiel für die Konzeptionsänderung kann hier  angeführt werden, dass anstelle der ursprünglich geplanten Sonate für Violoncello die Klaviersonate (Noumenon) und anstelle des Orgelkonzertes ein Kyrie für 3 Chöre entstanden ist.  Derartige Änderungen  machen jedoch die  ursprünglich  geborene Idee nicht zunichte.

 

Die Suche nach der Quelle der Inspiration ist eben eine Sache der Intuition. Ereignisse, die als Quellen dienen könnten, werden auf besondere Weise in Töne transformiert  und somit  in ein Kunstwerk verwandelt.  G. Moyseowicz schleift an ihren Werken bis zum Äußersten. Nach Abschluss eines Werkes, lässt sie jedoch  keine  Korrekturen mehr zu.  Ein abgeschlossenes Werk – sagt sie – ist in sich selbst vollkommen.  Nach jedem abgeschlossenen  Werk überkommt  die Komponistin – wie sie selbst zugibt – eine Art Unruhe davor,  die Inspiration könnte versiegen. Zum Glück mangelte es ihr bisher  nicht an Ideen. Als Quelle der „Eingebung“ dient  manchmal ein  anerkanntes  Musikwerk.  Als Prototyp für „Passacaglia und Fuge“ für Klavier (1966/67) diente ein Ausschnitt aus der Oper „Wozzeck“ von Alban Berg mit dem sich hartnäckig wiederholenden Ton „h“ als formalem Konstruktionselement.  Nicht selten kommt es auch  vor, dass die Literatur zur Quelle der Eingebung wird. Ein Beispiel hierfür  sind die „9 Moments Musicaux“ für Klavier und Streichorchester  (1964), die  nach der Lektüre der Erzählungen von Jerome David Salinger entstanden sind . Diesen Zyklus charakterisiert eine seltene  Kompaktheit,  nach Art der aphoristischen Technik  Anton Weberns. Es existiert auch eine  Klavierversion dieses Stückes.

 

 

Musikalische Sprache

 

Wenn überhaupt von irgendwelchen Einflüssen auf das Schaffen  von G. Moyseowicz gesprochen werden kann,  so würde man meinen, am nächsten stehen ihr Vertreter des Expressionismus im weitesten Sinne dieses Wortes. Die Komponistin selbst sagt:

Ich könnte nicht behaupten, dass es irgendwelche Epochen oder Geschichtsperioden gibt, die irgendeinen Einfluss  auf mich ausgeübt hätten.  Die Werke von Moyseowicz bleiben  originell und einzigartig in ihrer Art. Die  in ihren  Jugendjahren ausgearbeitete musikalische Ausdrucksweise unterscheidet sich  von der sog. Avantgarde, bleibt jedoch durch und durch zeitgenössisch. Gleichzeitig sind in                                                                                                                                                                                             einigen Werken nationale Elemente zu finden. Diese musikalische Sprache  wird durch die eigene Ästhetik und Selbstkritik geprägt. Der Trend zu  Nachahmungen ist ihr ebenfalls  fremd. Ihre Musik ist, wie sie der moderne Zuhörer erwartet, eine atonale Musik, die über die  früheren melodischen und harmonischen Konventionen hinausgeht.  Die Atonalität in der Melodik zeichnet sich durch  besondere Intervalle aus. Was die  Harmonie betrifft, so  steht   die Akkordstruktur dem Terzaufbau entgegen. Diese Prozesse verleihen ihrer Musik einen   offensichtlichen jedoch nicht  aufzwingenden Dissonanzeffekt. In gewissem Maße erinnert diese dissonantische Harmonik an die Harmonik von A. Skriabin.  Diese Annäherung und die starke Emotionalität  placieren das Schaffen von Moyseowicz in den  Trend des Postexpressionismus des 20. Jahrhunderts.

 

Nur sporadisch schreibt die Komponistin tonal, d.h.  in Anlehnung an das harmonische Dur-Moll-System.  Das betrifft hauptsächlich – jedoch nicht nur – sakrale Musikschöpfungen, die kirchlichen Anlässen  gewidmet sind.  Werke dieser Art werden als Gelegenheitswerke bezeichnet. Aber auch in ihnen (z.B. im  Alleluja) ist ein Reichtum an Chromatik und Modulationen auffallend.

 

Nur ausnahmsweise finden sich Anknüpfungspunkte zur  Musik der Spätromantik.  Ein  Beispiel hierfür ist u.a.  der „Marche Funèbre“ (1968) für Violine und Streichorchester. Dieses Musikstück wurde 1980  auf Violoncello und Klavier umgeschrieben. In der gesangartigen Melodik des Violoncellos und den harmonischen Figurationen der Klavierpartien  erinnert die Musik  an Gabriel Fauré.

 

Gewisse  Anknüpfungen an frühere Traditionen lässt auch der Aufbau der Werke und die Instrumentation erkennen. Besonders deutlich wird es dadurch, dass sich die Komponistin auf von vornherein geschlossene und übersichtliche Strukturschemata stützt. Einige Titel führen scheinbar in die Welt der alten Musik (Canzona, Fuga, Passacaglia). Traditionelle Formen werden jedoch nicht  mit den erwarteten Inhalten  gefüllt. Infolge des Reichtums an Inspirationsquellen ist eine breite emotionale Differenzierung und ein breites inhaltliches Spektrum gegeben.  Für viele der  Werke bildet  die mehr oder weniger exakte Sonatenform die Ausgangsbasis.  Zahlreiche Musikstücke  sind traditionell zyklisch (Sonate, Symphonie), aber im Aufbau auf einen  Teil reduziert.   

 

Die Handhabung der Instrumente

 

In der  Art der Handhabung der Instrumente durch die  Komponistin,  äußert sich ihre  Abgeneigtheit den Experimenten des 20. Jahrhunderts gegenüber. Über deren natürliche  Möglichkeiten geht Moyseowicz  nicht hinaus  und  sie ist  eine Gegnerin einer  überaus experimentellen  „Behandlungsart“  von Instrumenten.   Veränderungen und Deformationen originaler Instrumentaltöne weist sie von sich.  Ihre Haltung  spiegelt die  folgende Aussage wider: „Anstelle von  Konkretem wendet sie dessen Illusionen in Form von unkonkreten  Farben und schwer zu identifizierenden Tonhöhen an. Diese Effekte werden mittels spezifischer Zusammenstellungen von Tönen und mannigfaltiger Art, sie dem  Instrument zu entlocken, erzielt.“  Auf diese Weise  schafft die Komponistin  Klangstrukturen, die auf der  Unterscheidung  der  Klangfarben beruhen (z.B. I. und II. Memento Mori). Diese vernebelten Farben und schwer zu identifizierenden  Klanghöhen  ergeben eine spezifische Koloristik. Dieser Faktor  nimmt einen wichtigen Platz im Schaffen von G. Moyseowicz ein.  Ihre Suche nach neuen Farbqualitäten in Werken mit großer Besetzung  sind jedoch weit von  einer brutalen  Penetration der instrumentalen Klangmöglichkeiten  entfernt.  In symphonischen Werken  werden von ihr eher die natürlichen koloristischen Möglichkeiten der Blech- und Schlaginstrumente  genutzt.

 

In einem ihrer ersten Werke „Variationen für Klavier“ (1961) zeigt sich ihre Vorliebe für Effekte, die an  Glockentöne erinnern. Das Nachahmen dieses Perkussionsinstrumentes erzielt sie mittels ungewöhnlicher  Tonfolgen des Klaviers.  Es ist aber nicht  ein Stück in der Art der Werke von Maurice Ravel oder anderer Komponisten. Die Konzentration auf Tonwerte ist eine herausragende Eigenschaft des Schaffens der Komponistin. Auf  Glockeneffekte greift sie auch in anderen Kompositionen (z.B. Klaviersonaten) zurück.

 

Klavierwerke

 

Einen wichtigen Platz im Schaffen von G. Moyseowicz nehmen Klarvierwerke ein.

Das besondere Interesse an dieser Gattung  Musik hängt unweigerlich mit der Klavierpraxis der Komponistin zusammen. Sie ist eine  hervorragende und hoch geschätzte Pianistin. Unter den Klavierwerken nehmen die Sonaten eine Vorrangstellung ein.  Die Sonate für Klavier Nr. 1 entstand im Jahre 1960 und zeichnet sich durch einen exakt klassischen Aufbau aus.  Die Sonate Nr. 2 ist dreiteilig, die Sonate Nr. 3 zweiteilig und die Sonate Nr. 4 einteilig.  An diesen Beispielen lässt sich die Freizügigkeit in der Handhabung  der  gebräuchlichen  Konstruktionsschemata feststellen.  Mit der Abkehr von der traditionellen Sonatenform  weicht die Komponistin ebenfalls von  den Grundsätzen in bezug auf die  Behandlung der Themen selber ab. Verschiedenartige  Kontraste und  sich ständig verändernde  Klangfarben beginnen eine formbildende Rolle zu spielen. Die Sonate Nr. 5 aus den Jahren 1973/74  ist ihr  letztes in Polen geschriebenes Werk.  In den Jahren 1974/75  entstand die VI. Klaviersonate (Noumenon Sonata). Der Untertitel der Sonate  stammt aus der Kantterminologie. „Noumen“ – das Gegenteil von Phänomen – bezeichnet eine enigmatische Kraft, die fähig ist,  das Werk in den Rang eines Kunstwerkes emporzuheben.  Dieser  unerklärliche Koeffizient, der in einer geheimnisvollen Art und Weise aus dem  Musikstück emaniert, ist auch u.a. in den Mazurkas von F. Chopin enthalten. Im Jahre 1978 entstand die VII. Klaviersonate und im Jahre 1981 die VIII. Sonate mit dem Titel „Concatenatio“ , die  Helga von  Kügelgen gewidmet ist.  Mit diesem Werk befindet sich  die Komponistin auf dem Zenit   der  Klavierkunst. Hier offenbarte sich der ganze Reichtum der Klangphantasien  der Komponistin. „Concatenatio“ bedeutet generell eine Verbindung von Versen, was auf  eine Analogie mit einem poetischen Werk hindeuten könnte.  In Wirklichkeit aber hat es nichts mit Poesie zu tun.   Es geht ausschließlich um  die Schaffung einer strikt musikalischen Gedankenkette. Die Motivabschlüsse sind  gleichzeitig der Beginn neuer Glieder im Verlaufe des Werkes. Diese Verzahnung von  Motiven stellt ein formbildendes Element dar. Eine gewisse Rolle spielen in der VIII. Sonate „Glockenillusionen“.

 

Unter den Solo-Klavierwerken treten besonders die  12 Intermezzi „Norwidiana“ (1995) hervor,  die  zu Ehren des großen Dichters geschrieben wurden und weitere  3 „Rapsod´s“ (1983,1985,1989) , die hohe Anforderungen an den Interpreten stellen.

 

Zu den  Werken für Klavier und Orchester zählen  4 Klavierkonzerte. Einen besonders hohen Rang  nimmt das Konzert Nr. II (1965/66) ein, das  gleichzeitig die Basis            des musikalischen „Credos“ aus der bereits erwähnten Diplomarbeit   ist. Das III. Konzert für Klavier und Streichorchester entstand im Jahre 1971 und das IV. Konzert, eines der letzten Werke,  im Jahre 2002.

 

Das Verhältnis zum Wort

 

Widmen wir uns dem Verhältnis der Komponistin zu literarischen Vorlagen. Texte, die von ihr als  Vorlage für vokal-instrumentale Werke verwendet wurden, bilden für sie keine gefestigte  Grundlage der musikalischen Illustration.  Ausnahmen bilden hier lediglich einige Lieder mit Texten von hohem literarischen Wert. Dieses eigenartige Verhältnis zum geschriebenen Wort bewirkte, dass bei der Komponistin kein Wille zur Schaffung einer Oper vorhanden war. Die Opernform betrachtet sie  als verknöchert. Sie behauptet, dass die Konzepte Richard Wagners, die Innovationen von Alban Berg oder Bernd Alois Zimmermann (z.B. in der Oper „Die  Soldaten“) veraltet seien.  Generell wird von ihr die Instrumentalmusik bevorzugt. Sie spricht sich  entschieden für die Trennung  der Musik von anderen  Kunstgenres aus  und zitiert die Worte Hans von Bülows, dass jede „Mazurka von Chopin mehr Inhalt hat als ein ganzes Drama von Wagner.“ Diese Einstellung, welche der sog. absoluten Musik eine Vorrangstellung verleiht, hindert sie jedoch nicht daran, dennoch recht oft auf das Wort zurückzugreifen. Allerdings rückt  „das Wort“ niemals   in den Vordergrund, obgleich das emotionale Klima des Textes  zweifelsohne den Gesamtausdruck des Werkes beeinflusst.  In den sakralen Werken  bedient sich die Komponistin  - was auch selbstverständlich ist,  liturgischer Texte. Die musikalische Umformung  solcher Texte  finden wir in „Dies Irae“ (1963),  in dem Oratorium „Stabat Mater“ (1972/73) „Ave Maria“ (1976), „Pater Noster“ (1978), „Kyrie“ (1982).  Das Werk „Media Vita“ (1961/62) wiederum basiert auf dem Text des schweizerischen Benedi

ktiner Mönches  Notker Balbulus(840-912). Dieses  Musikwerk drückt die Unruhe  vor dem Bau einer Brücke aus, was zu damaliger Zeit ein Unterfangen  voller Gefahren war,  das zahlreiche Opfer forderte. Dieses Werk, das für zwei Violinen, Violoncello, Sopran und Bass-Recitativ geschrieben ist, unterscheidet sich durch seine  Thematik, die Besetzung und Zeitdauer (ca. 3 Minuten) von anderen  Stücken dieser Art.  Andere Vokalwerke sind pompöser und zeichnen sich durch eine zahlreichere Besetzung aus.  Die „Cantata  Solemnis“ z.B. wurde für Bariton solo, einen Frauenchor und Orchester geschrieben.   Eine wichtige Rolle nimmt „Dies Irae“ für Chor und Kammerorchester ein – ein Werk, das mit großem Erfolg in der Philharmonie  in Bydgoszcz aufgeführt wurde. Ein anderes hervorragendes Werk „Ave Maria“ für 2 gemischte Chöre a cappella wurde in der Kathedrale in Schleswig unter der Beteiligung der NDR-Chöre  aufgeführt und aufgenommen.  „Pater Noster“ ist dagegen ein 6-stimmiges Chorwerk (aufgeführt am 7.9.1994 in Koszalin), dem der Einsatz von 3 Sprachen – der polnischen, deutschen und lateinischen - eine formelle und koloristische Bedeutung verleiht.

Das Oratorium „Stabat Mater“ für gemischten Chor ist ein  tiefgreifendes  und beeindruckendes Werk, das in Polen uraufgeführt wurde (Kielce 1999). In den recitativen Partien dieser Werke geht selbstverständlich die ursprüngliche  Art des Gesanges  der melodischen Linie verloren.

 

Moyseowicz greift auch auf laizistische Texte als Inspiration für ihre Werke zurück. Als Beispiel hierfür kann der 5-Lieder-Zyklus für einen achtstimmigen Chor zu den Gedichten  „Anka“ (1971) von Władysław Broniewski angeführt werden.  Diese ergreifenden Gedichte sind den Erinnerungen des Poeten an  seine verstorbene Tochter gewidmet. Die Poesie von Cyprian Kamil Norwid (z.B. „Fatum“), die voller Metaphern ist , animierte die Komponistin zu dem  Musikstück „Riconoscimento“ (1968) für Bass, Alt, 2 Flöten, 2 Oboen , 2 Fagotte, 2 Hörner und Streichquintet zu komponieren. Dieses Werk wurde speziell für die Capella Bydghostinensis geschrieben.

 

Ein weiteres Beispiel für die Verwendung von hochwertigen literarischen Texten  sind die „3 Lieder zu den Worten von Norwid“ (1962)

 

Andere bedeutende Kompositionen

 

Zu den in Polen, d.h. bis zum Jahre 1974  entstandenen wichtigeren Werken, zählen :

„Rapsod“ für Bratsche und Orchester (1968), „Musique en trois styles“ für Violine, Violoncello und Klavier (1968), die Ouvertüre „An Beethoven“ (1970) und „Deux Caprices“ für Violine solo (1972).  Die „Caprices“ (mit den Untertiteln Allegro und Moderato cantabile) sind atonale Werke,   die äußerst hohe Anforderungen an die  Interpreten stellen. Sie  entstanden unter dem Eindruck, den  die  Virtuosität der Capriccio von Nicolo Paganini und Henryk Wieniawski auf die Komponistin machten.  In der Emigration entstanden: „Sonata Polska“ (1979) für Violine und Klavier,

I. Memento Mori (1988) – das vom Berliner Musikrat in Auftrag gegeben worden ist, die II. Sonate für Violoncello und Klavier (1985-86), Passacaglia für Violine (1994), II. „Memento Mori“ (1990), Fuge mit Postludium für Streichorchester (1996) sowie das Meisterwerk „Schattensymphonie“ (1996) u.a.  In der „Sonata Polska“, die am 24.11.1981 in Berlin uraufgeführt wurde, werden von der Komponistin  Erinnerungen  aus der Heimat wiedergegeben.  In diesem Werk ist die Vorahnung  der gesellschaftlichen Unruhen zu spüren, die alsbald über Polen hinwegfegen sollten.  Es handelt sich um  ein atonales Werk, in dem  ein Zitat aus der Hymne „Noch ist Polen nicht verloren“ zweimal  vorkommt.  Die beiden Instrumentalpartien  werden gleichwertig behandelt  und stellen  hohe Anforderungen an die Interpeten. Als Inspiration für die Schaffung von zwei ergreifenden „Memento Mori“ dienten  Meditationen  über  Ethik und Moral der zwischenmenschlichen Beziehungen. An deren Beispiel  ist die emotionale Verbundenheit der Komponistin mit den komplizierten Problemen unserer Gegenwart zu erkennen.

 

Kurze Schlussfolgerung

 


Ungeachtet der Vielzahl der in Kompositionen von Gabriela Moyseowicz enthaltenen Intervallen und Dissonanzen - sowohl in der Vertikale  als auch Horizontale - sind  sie für das Ohr „verdaulich“ und weit vom klanglichen Radikalismus entfernt. Andererseits unterstreichen die  deutlichen harmonischen Mittel bzw. der Einsatz extremer dynamischer  Werte  (z.B. bruitistische Elemente) die außermusikalischen Assoziationen , die ihrer   Musik individuelle Eigenschaften verleihen.  Diese Musik  verkündet die eigene Wahrheit und spiegelt  ihre philosophische  Einstellung zur Welt wider. Die in ihrer Musik  eingesetzten originellen formellen Klangfassungen  dienen der Klarstellung dieser  Werte.   Die Musik von G. Moyseowicz enthält keine Spur von Effekthascherei. Sie ist voller Leben, tiefgründig und faszinierend. Sie wird mit Aufmerksamkeit und Interesse aufgenommen. Die Schönheit dieser Musik zu erleben, sollte jedoch einem größerem Zuhörerkreis in Polen und im Ausland  zuteil werden. Diese Musik ist würdig  gefördert zu werden und  sollte deshalb öfter in Konzertsälen zu hören sein.

 

Die Komponistin wacht  aufmerksam über den  von ihr  eingeschlagenen  Weg und bleibt ihren eigenen Überzeugungen treu. Das gibt die folgende Aussage der Komponistin wieder: „Die innere Überzeugung  von der Richtigkeit der angenommenen Ästhetik ist für einen Künstler das Grundkriterium seiner Existenz. Keine schöpferische Tätigkeit kann durch die Haltung des Publikums determiniert werden, für das jedes „Novum“ im Allgemeinen fremd und  wenig kommunikativ ist. Allerdings ist die Einführung neuer Werte sine qua non der echten Kunst.“

Tatsache ist, dass jede „neue Musik“ nicht sofort eine breite Begeisterung  hervorruft und volle Konzertsäle beschert. Sie kann lediglich mit  höchstens einer erlesenen  Handvoll Interessierter und nach Neuigkeiten verlangender  Musikliebhaber rechnen. Erst die Zeit erlaubt es, ein neues Musikwerk zu verifizieren und  zahlreiche Liebhaber zu gewinnen.

Ihre Diplomarbeit (1967), die ihr  künstlerisches Credo darstellt, beschloss Gabriela Moyseowicz mit einem Zitat von Cyprian Norwid: (frei übersetzt)

 

„Dichter ?– Wenn wirklich Dichter –

Dann muss er zunächst in dem Element gelebt haben,

das er später in seinem Gesang erschallen lässt

Ohne Pulsschlag  sind

nur in der Vorstellung erlebte Schmerzen

und  am Schreibtisch erdichtete Gewitter“